Laudatio

Filmeditorin Karin Nowarra hielt anlässlich der Ehrung von Juliane Lorenz durch den BFS – Bundesverband Filmschnitt Editor e.V. am 24. November eine Laudatio auf ihre Kollegin und Freundin.

Sehr verehrtes Publikum, liebe Juliane,

in diesem Jahr ehrt Filmplus mit einer Hommage das Lebenswerk einer für den deutschen Film wichtigen Editorin, die bei diesem Wort allerdings etwas zusammenzuckt, weil sie vehement für den Begriff „Montage“ als treffendsten Ausdruck unserer Kunst kämpft. Aber wichtiger ist ganz bestimmt die Anerkennung durch die Kollegen, die sich gemeinsam entschieden haben, Dir, liebe Juliane, den Ehrenpreis des BFS 2013 zu geben.

Ich freue mich für Dich und mit Dir, liebe Juliane. Und dafür gibt es auch Gründe: Ich lernte Dich 1978 kennen, es ist also schon ein Weilchen her. Ort: Geyer–Werke in der Harzer Straße, Mischatelier und Synchronstudio. Ich machte mein Praktikum bei den Geyer-Werken und war bei Hartmut Eichgrün, dem Mischtonmeister, als „Zweiter Ansage-Assistent“ eingeteilt. Ich musste ihm die verschiedenen Werte rechtzeitig für die unterschiedlichen Kanäle ansagen (Sprache, Musik, Atmosphären, Synchrongeräusche etc.). Heute merkt sich das Mischpult alles von alleine, damals mussten wir uns merken, wann was wie und wo hoch- oder runtergezogen werden musste, 10 oder 20 O-1 oder Synspr 4 . Es war ein Montag: Herr Atrott, der damalige Disponent im Geyer-Synchron sagte zu mir: Ab in die Mischung. Pass auf, ob „rot“ oder „orange“ ist, bei „orange“ darfste Reingehen. Bei „rot“ musste vor der Tür warten. Der Fassbinder mischt, da kannste was lernen. Ich rutschte rein, bei Orange. Fassbinder mischte damals seinen Film „Die dritte Generation“, paffte eine Zigarette nach der anderen, vermutlich zusammen mit Hartmut Eichgrün und, ja, er müffelte etwas. Er hatte Tag und Nacht ohne Pause gearbeitet. Juliane war noch nicht da, sie arbeitete weiter an den Akten im Schneideraum. Wir sahen den Film, alle Regler waren hoch und währenddessen wählte Eichgrün seine Einstellungen im kürzelhaften Gespräch mit Rainer Werner Fassbinder. Rainer hatte sich in der Nacht vor der Mischung überlegt, dass er bei seinem Film im Off einen Radio-Text hören möchte. Juliane legte diesen an. Am zweiten oder dritten Mischtag fiel Fassbinder auf, dass er seinen Text nicht gehört hatte. Wir protestierten, denn wir hatten ihn alle gehört. Zurück. Abermals Vorführung. Der Text war partiell in wichtigen Szenen zu hören. Er verstärkte den Eindruck von der emotionalen Situation der Handelnden, von ihrer Angst. Das wollte Fassbinder aber nicht, er wollte etwas anderes: Der Radio-Text sollte von der ersten Szene bis zur letzten ununterbrochen durchlaufen, ohne Veränderung in der Lautstärke, denn er wollte gerade keine Emotionalisierung des Zuschauers, sondern ihn wie Brecht zwingen, die Situation zu analysieren. Das bedeutete aber: Alle Arbeit von Juliane und schließlich die von Hartmut Eichgrün war umsonst. Juliane musste die Zwischenteile wieder einsetzen, ab in den Schneideraum! Unsere Zeit wurde knapp, weil der Film bei der Berlinale aufgeführt werden sollte. Die Herren unterhielten sich, der erste Tonassistent wurde zur Reinigung geschickt und sollte die weißen Hemden abholen. Kaffee, Zigaretten. Telefon mit Herrn Atrott: Lichttonnegativ organisieren, Kamera fertig machen etc. Wir fahren sofort auf Lichtton. D.h. es gab kein Zurück mehr. Fassbinder freute sich. Fast hatte es den Anschein, dass Fassbinder diesen enormen Druck liebte. Es herrschte allerhöchste Anspannung. Zum ersten Akt (Filmrolle bestand aus zwei Teilen von ca. 8-12 Minuten 35 mm) zog Hartmut Eichgrün ein weißes, gebügeltes Hemd an und mischte. Am Ende des Aktes war das Hemd pitschnass. Während wir mischten, wurde der Film bereits rollenweise ins Uraufführungstheater gefahren. Als Kurzformel: 12 Akte, das bedeutete 12 Hemden. Bis heute ist „Die dritte Generation“ für mich der tollste Film von Fassbinder.

Liebe Juliane, ich bin natürlich vom Wege abgekommen: Aber diese Szene zeigte, ohne dass wir damals selbst darüber nachdachten, wie sehr wir Film leben und lieben mit all seine Extremen. Wir trafen uns in filmspezifischen Situationen immer wieder. Und uns verbindet eine Freundschaft, in der du mir manchmal sogar Schwächen zeigen konntest. Wenn Du hilflos warst und nicht weiter wusstest, wenn der angebliche Berserker Juliane auch mal verzweifelt war. Juliane braucht Widerspruch. Sie braucht ihn als Impuls, um etwas zu überdenken. Dann schüttelt sie sich, protestiert energisch, um schließlich zuzustimmen, aber das eher selten. Die Auseinandersetzung ist eine der Quellen ihrer Inspiration, ihrer Lebensfreude – Widerstand als Anregung. Wer das missversteht, flüchtet vor ihr. Juliane scheint in wirklich allem, was sie tut, folgenden Leitspruch zu beherzigen: „Zusammen kann man schweben, alleine geht man unter“. Das bedeutet Teamgeist und erfolgreiche Teamarbeit, aber ohne übertriebenes Harmoniebedürfnis, wenn es um die Sache geht, um den Film. Die Harmonie stellt sich später ein, wenn wir wie betäubt und trunken vor Glück sind, weil uns etwas schier Unmögliches geglückt ist

Die Montage eines Filmes ist eine Liebeserklärung an den Film und das Leben, auch wenn sie sich oft anders darstellt. Denn man reibt sich an der Wirklichkeit, an den Produktionsgegebenheiten und den Wünschen des Regisseurs und seinen eigenen Obsessionen und Widerständen. Alles, was wir sind, jeder einzelne von uns, was uns ausmacht, fließt auch in unsere Arbeit als Künstler ein, die die Montage eines Filmes bestimmen. Struktur und Formgebung, das ist das, wofür die Schnittmeisterin steht, wofür sie auch einstehen muss. Die Hartnäckigkeit, mit der Juliane ihre filmischen Ziele, die sie ins Visier genommen hat, verfolgt, ist bewundernswert, und vor allem: Man kann sich darauf verlassen.

Im Juni 1982 stirbt Fassbinder. Juliane spürt, eine Welt wird verschwinden, wenn sich niemand um sie kümmert. Sie will die verschwundene Welt festhalten. Aber wie. Sie ist verzweifelt und verpuppt sich. Sie muss sich radikal ändern, bittet um Hilfe, stellt sich den Tatsachen, entwickelt die Struktur, wie man mit dem Nachlass von R.W. Fassbinder umgehen könnte. Und sie handelt sich dabei Ärger ein, einen Ärger nach dem anderen, sie reihen sich zu einer negativen Liebesperlenkette, aber sie gibt nicht auf, denn sie ist ein Filmtier. Und entsteigt der „Puppenhülle“ als ein neues Wesen mit der Rainer Werner Fassbinder Foundation, sie rettet ein Stück Welt, das man ruhig Kulturerbe nennen kann. Was ist Julianes Motor? Wenn ich all meine Beobachtungen aus Jahrzehnten vorüberziehen lasse, wie sie handelt, spricht und kämpft, stelle ich fest: Sie ist nicht gleichgültig! Sie ist mal verzweifelt, sauer, traurig, sogar in Panik, vergnügt, aber niemals gleichgültig. Sie hat Freude an dem, was sie tut, sie hat Freundinnen und Freunde, die sie dafür lieben, und sie ist durch und durch loyal und freundschaftlich. Nun habe ich kaum über die Filme gesprochen, die du geschnitten hast, nicht einmal über deine eigenen Filme, aber ich bin sicher, das haben schon viele andere getan und tun es weiter, und so soll es auch sein.

Liebe Juliane, ich freue mich sehr, dass Du diesen Preis bekommst, eine weniger materielle als vor allem visuelle Liebeserklärung an eine ausgezeichnete Schnittmeisterin und einen bewundernswerten und liebenswerten Menschen!
Juliane, ich gratuliere Dir, und ich gratuliere uns!